Wie schafft man es, in Sachen Performance und Vorbereitung einen neuen Standard in einem Sport zu definieren? Wir baten MXGP-Ass Jeffrey Herlings, uns zu erzählen, wie er den Grand-Prix-Sport aufmischt.
Jene, die sich anschicken, zur Spitze im Motocross-Sport zu zählen, trainieren beinahe fanatisch und zwanghaft. Die Annahme, dass die, die am härtesten trainieren, am Ende triumphieren werden, hält sich seit Jahrzehnten. Dennoch ist klar, dass moderne Grand-Prix-Fahrer die Grenzen ihres Körpers, der Geschwindigkeit und der Technik im Laufe der immer länger werdenden MXGP-Saison immer weiter ausdehnen.
Einer der wichtigsten Architekten dieser neuen Ära der Performance war in den letzten Jahren der 25-jährige Jeffrey Herlings, seines Zeichens Speerspitze von Red Bull KTM Factory Racing. Dank seiner Mischung aus unbarmherziger Attacke beim Fahren, unschlagbaren Rundenzeiten, Aggressivität und Abwesenheit von Schwächen, rückten Erfolge in der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft für Normalsterbliche in weite Ferne.
In der 20 Läufe umfassenden Saison 2018 machte Herlings das mit 17 Siegen in 19 Läufen, bei denen er angetreten war, klar (bei den beiden anderen wurde er jeweils Zweiter) und markierte so einen der umwerfendsten Siegeszüge der jüngeren Vergangenheit. Der ganze Umfang seiner Überlegenheit führte in der MXGP zu einer Atmosphäre des Unvermeidbaren.
Im Jahr 2020 will es Herlings etwas moderater angehen lassen, hat er doch letztes Jahr die andere Seite des Motocross-Sports zu spüren bekommen. Zwei Verletzungen machten ihn zu einem seltenen Besucher auf den Rennstrecken und gaben ihm den Nimbus eines abwesenden Champions. Seine Vormachtstellung schien wie eine dunkle Erinnerung. Heute nennt er es „das furchtbarste Jahr meines Lebens.“
Die MXGP ist unvorhersehbar und brutal, der Einfluss von Herlings‘ Hammer-Saison 2018 ist aber immer noch spürbar. „Ich gab bei jedem Rennen alles“, erinnert er sich. „Wenn 100 % das Maximum sind, [dann] leistete ich 110. Ich achtete auf jeden Bissen, den ich aß, berechnete meine Schlafzeit und den Jetlag, trainierte wie ein Besessener und vernachlässigte Freunde und Bekannte fast ein Jahr lang. Es war hart. Es ist schwierig, das auch nur ein paar Jahre lang zu machen, körperlich und mental. Es hat sich aber ausgezahlt. Es war ein fast perfektes Jahr …“
Der viermalige Weltmeister and aktuelle WM-Führende – er dominierte die ersten beiden Saisonrennen vor dem COVID-19-bedingten Shutdown – rückt bekanntlich nicht gerne mit Details seines Trainingsplans heraus. Seine Kollegen und andere Fahrer äußern sich oft mit Staunen zu seinem Arbeitspensum und seiner Hingabe zum Sport, Herlings selbst teilt aber nur selten Material oder Informationen zu seinen Methoden auf Social Media. Wir vom KTM Blog traten ihm mit wehenden orangefarbenen Flaggen gegenüber und konnten der #84 etwas mehr Informationen über seinen wöchentlichen Plan entlocken, mit dem er mit Furore in den Grand-Prix-Zirkus zurückkehren will.
Am Montag nach einem Grand Prix steht immer Radfahren auf dem Programm …
Je nachdem, wo ich gerade herkomme und zu welcher Zeit ich zuhause ankomme, entscheide ich, wann ich mich auf das Fahrrad schwinge. Ich fahre sogar nach einem harten Rennen wie Lommel. Ich sehe das als Erholungsfahrt an – etwa eineinhalb Stunden, nur um die Beine zu bewegen und mich auf Dienstag vorzubereiten. Ich bin immer unterwegs und normalerweise beginnt der Sommer bald nach Saisonstart und so bin ich von März bis Oktober auf dem Fahrrad unterwegs. Erst im Dezember und bei minus 3 Grad komme ich wieder rein! Ich liebe es, mit dem Rad zu fahren. Holland ist auch sehr gut dafür geeignet. Wir haben nicht viele Anstiege und Hügel, dafür aber viele Radwege und viel Abwechslung. Es ist ein gutes Training und hält die Herzfrequenz hoch.
Am Dienstag fahre ich dann mein Motorrad …
normalerweise einige Sprints und dann auch noch mindestens eine Trainings-Session: noch mehr Radfahren oder ein bisschen Rudern. Ich versuche, meine KTM am Vormittag zu fahren (besonders im Sommer) und am Nachmittag zu trainieren. Es gibt fünf oder sechs Strecken, auf denen ich fahren kann, wann ich will. Manche öffnen im Sommer erst am späten Nachmittag und so lange will ich nicht warten. Ich ziehe es vor, von 9 bis 12 zu fahren, dann zum Mittagessen nach Hause zu gehen und danach noch etwas Rad zu fahren, zu rudern oder zu schwimmen.
Mittwoch …
sieht mehr oder weniger genauso aus … aber statt Sprints fahre ich Motos. Das heißt, dass ich ganze Renndistanzen auf der Rennstrecke zurücklege.
Am Donnerstag fahre ich nicht mit dem Motorrad, sondern …
gehe ins Fitnesscenter und dann schwinge ich mich wieder aufs Fahrrad. Ich fahre viel mit dem Rad, weil ich nicht laufen kann! Mein Fuß ist nicht mehr flexibel genug und wenn ich laufe, kompensiere ich viel mit den Hüften und meinem Rücken, was wieder zu Schmerzen führt! Ich kann viele andere Dinge machen – Schwimmen, Cross-Training, Rudern – aber Laufen ist schwierig.
Freitag habe ich fast frei …
versuche aber am Morgen trotzdem noch etwas zu rudern, mit dem Rad zu fahren oder Cross-Training zu machen, bevor ich zum Rennen aufbreche. Normalerweise trainiere ich nur so von 9 bis 10 Uhr und nicht zu intensiv, nur um den Kreislauf anzuregen, so wie am Montag. Der Rest des Tages ist dann ziemlich entspannt.
Und wie sieht es mit der Freizeit aus?
Ich reserviere eigentlich keinen Tag dafür. Ich genieße es, mit Freunden abzuhängen. Und ich mag es, zuhause zu sein, wenn ich kann. Vor Beginn der heurigen Saison verbrachte ich viel Zeit in Spanien und habe sie oder meine Familie deshalb nicht oft zu Gesicht bekommen. Je älter ich werde, desto mehr verändere ich mich und beginne, andere Dinge im Leben zu genießen.
Im Moment ist es frustrierend
Wie die Siege in den ersten beiden Rennen in England und Holland gezeigt haben, sind wir perfekt in die Saison gestartet. Leider ist durch das Coronavirus jetzt aber erstmal die gesamte Saison auf on hold gestellt. Wir befanden uns im Süden Frankreichs, um uns auf Argentinien vorzubereiten, und als wir nach Hause zurückkehrten, ist die Situation eskaliert. Strecken wurden gesperrt, Grenzen geschlossen und auch der Aufenthalt im öffentlichen Raum wurde in vielen Ländern stark eingeschränkt. Es sieht so aus, als hätte sich unsere Saison aus diesen Gründen um mindestens 2 Monate verlängert. Wir werden bis November Rennen fahren, das bedeutet ein volles Jahr Training und Racing. Da kann es sich jetzt niemand leisten, sich das Schlüsselbein zu brechen und nicht ganz fit in den Rest der Saison zu starten.
Belohnst du dich auch manchmal?
Ich liebe Eis und Spare-Ribs! Ich muss natürlich auf mein Gewicht achten, aber manchmal sage ich mir: „Wenn ich dieses oder jenes Gewicht zu diesem Zeitpunkt erreiche und ich dann noch etwas weniger wiege, belohne ich mich mit einem Eis.“